Postvirale Krankheitsbilder und die Covid-19 Pandemie – ein Überblick

Post-Covid, Long-Covid, Long-Haul, postvirale Fatigue, Post-Vak, ME/CFS. Es gibt unterschiedliche Begrifflichkeiten für einen anhaltenden Krankheitszustand, der sich in Folge einer Infektion oder eines anderen immunologischen Prozesses, z.B. nach einer Impfung, einstellen kann.
Auch bestimmte Medikamente wie z.B. Fluorochinolone oder Verletzungen der Halswirbelsäule können ein klinisch ähnliches Krankheitsgeschehen anstoßen.

Seit Anfang 2020 wird, auf Grund der Covid-19 Pandemie, verursacht durch das Sars-Cov-2-Virus, innerhalb relativ kurzer Zeit dieser „postvirale Zustand“ bis hin zu ME/CFS durch eine Covid-19 Infektion, teils aber auch durch eine Covid-19 Impfung, weltweit gehäuft ausgelöst.

Auf Grund der pandemischen Dynamik werden Medizin, Wirtschaft und Politik weltweit nicht nur mit schweren Verläufen von Akutinfektionen konfrontiert, sondern und zunehmend offensichtlicher mit anhaltenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen ca. 10% der Infizierten nach oftmals milden Infektionsverläufen. Die gehegte Hoffnung, dass die derzeit verfügbaren Impfstoffe auch vor postviralen Krankheitszuständen verlässlich schützen, hat sich leider nicht bestätigt.

Wie häufig dieses Krankheitsgeschehen durch eine Impfung gegen Sars-Cov-2 ausgelöst wird ist nicht sicher bekannt, hier liegen derzeit keine validen Daten vor. Erschwert wird die Erfassung von Impfschäden auch dadurch, dass es noch keine Definition des Krankheitsbildes „Post-Vak“ gibt und von einer unbestimmten Dunkelziffer ausgegangen werden muss.

Augenmerk verdient zudem die Tatsache, dass die meisten Menschen in den westlichen Ländern mittlerweile geimpft und/oder genesen sind, in beliebiger Reihenfolge, und eine exakte Zuordnung zum ursächlich auslösenden Ereignis des Krankheitszustandes häufig kaum mehr herzustellen ist.
Wenn man so will können eines oder die Summe der einzelnen Ereignisse das gesundheitliche System zum „Kippen“ bringen, und einen Krankheitsprozess auslösen, den man als Covid-assoziierte-Erkrankung begrifflich fassen könnte.

Versorgungssituation

Patienten mit anhaltenden gesundheitlichen Folgezuständen nach Covid-Infektion und/oder Impfung drängen mit einem derzeit schwierig zu diagnostizierenden und zu behandelnden Krankheitsgeschehen zunehmend in Arztpraxen – betroffene Menschen suchen Hilfe, da sie auf einmal gesundheitlich „aus dem Leben“ und oftmals auch aus dem Arbeitsleben „gerissen“ sind.

Die Betroffenen suchen medizinische Hilfe, die sie oftmals nur schwer finden, da das schulmedizinische Wissen zu postviralen Erkrankungen im medizinischen System bisher weder in Studium noch in Facharztausbildung verankert war.

Über fundiertes Fachwissen zu postviralen Krankheitsbildern verfügen Kollegen*Innen derzeit nur vereinzelt. Angebot und Nachfrage klaffen noch immer, gut 3 Jahre nach Beginn der Pandemie, weit auseinander und verschärfen durch die plötzlich sprunghaft zunehmende Zahl an Betroffenen, die seit Jahrzehnten präexistente Unterversorgung von postviralen Krankheitsbildern bis hin zu ME/CFS.

Postvirale Krankheiten in der Vergangenheit

Gleichzeitig führen und führten schon lange vor der Covid-19 Pandemie auch andere Infektionen und Pandemien im Nachgang zu anhaltenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen (post-acute Infection Syndrome (PAIS)) und zu einer chronischen Fatigue-Symptomatik bzw. zu dem was wir aktuell nach Covid-19 Infektion oder Covid-19 Impfung Post-Covid oder Post-Vak und in klinisch schwerster Ausprägung ME/CFS nennen. Man kennt das Krankheitsbild der postviralen Fatigue in der Medizin seit Jahrhunderten.

Begrifflichkeiten und Diagnosen variierten je nach Zeit und Ort, man sprach von „nervlichen Invaliden“, von „post-influenzaler Depression“, von „Enzephalitis lethargica“ (nach der Spanischen Grippe z.B.), „grippaler Katalepsie“, „hysterischem Koma“, um nur einige Beispiele zu nennen.

Dass Viren Auslöser diverser schwerer Erkrankungen sein können, wurde im Lauf der Zeit entdeckt. Als Beispiel kann hier der wissenschaftlich immer klarer werdende Zusammenhang einer Ebstein-Barr-Virus-Infektion als ursächlicher Auslöser der Multiplen Sklerose genannt werden. Multiple Sklerose ist inzwischen den meisten Menschen als schwere aber mittlerweile gut behandelbare neuroimmunologische Erkrankung bekannt. Es ist medizingeschichtlich betrachtet jedoch noch nicht lange her, da galten auch MS-Patienten, wie aktuell Patienten mit ME/CFS, als „psychisch“ krank, da man die Multiple Sklerose lange Zeit nicht diagnostisch fassen konnte. Dies änderte sich erst mit Einführung der modernen Schnittbildgebung als diagnostisches Tool.

Spanische Grippe

Beobachtet und dokumentiert wurde das postinfektiöse Krankheitsgeschehen z.B. nach der „Spanischen Grippe“ 1918. In den folgenden drei bis fünf Jahren stieg die Zahl an fatigueartigen und auch scheinbar akut psychiatrischen Krankheitsbildern sprunghaft an. Die Diagnose der „Hysterie“ wurde in diesem Zusammenhang von Ärzten*Innen zunehmend häufig gestellt. Die Patienten*Innen waren anhaltend erschöpft. Teils waren sie so schwach, dass sie das Bett nicht mehr verlassen konnten. Die Ursache dieser Beschwerden blieb unklar. Man interpretierte das Krankheitsgeschehen als „hysterisch“, als eine psychische Auffälligkeit.

Vermutlich aber handelte es sich um einen organisch bedingten, somatischen postviralen Fatigue-Zustand. Es gab Regionen auf der Erde (z.B. im heutigen Tansania), in denen zwei bis drei Jahre nach der Epidemie die Felder brach lagen und es u.a. daher zu Hungersnöten kam, weil die Bauern zu erschöpft und zu schwach für ihre alltägliche Arbeit auf den Feldern waren.

Russische Grippe

Im späten 19. Jahrhundert wurde – in Folge der russischen Grippe, welche zwischen 1989 und 1995 in drei großen Wellen um den Globus ging – gehäuft die damalige „Modediagnose“ der „Neurasthenie“ gestellt.

Unter einer „Neurasthenie“ litten zahlreiche Menschen, die die akute Infektion überlebt hatten, epidemieartig. Ein Teil der Betroffenen erholte sich nach drei bis fünf Jahren, andere blieben krank und geschwächt und verharrten zeitlebens in Heilanstalten – gezeichnet von den neuropsychiatrischen und neurologisch-körperlichen Folgen der Russischen Grippe.

Das Krankheitsbild ging einher mit einer andauernden übermäßigen körperlichen Erschöpfung, „überreizten Nerven“ im Sinne einer extrem gesteigerten Reizwahrnehmung, schwerer Schlaflosigkeit, muskulären Beschwerden wie Muskelzuckungen und neurokognitiven Einschränkungen sowie gesteigerter Ängstlichkeit und Neigung zu depressiven Episoden.

Lösungen für die Patienten suchte man u.a. in Kuraufenthalten auf dem Land. In Abgeschiedenheit und Stille sollten die überreizten Nerven zur Ruhe kommen und der kranke Körper Kraft schöpfen. Sanatorien, Kur- und Heilanstalten kamen zunehmend „in Mode“.

An der Neurasthenie litten mutmaßlich auch namhafte Künstler wie z.B. Edvard Munch und Ernst Ludwig Kirchner, um nur zwei Persönlichkeiten exemplarisch zu nennen. In Kunst und Literatur wurden hypothetisch teils postinfektiöse Krankheitserlebnisse und -erfahrungen dieser Künstler-Patienten verarbeitet, ausgedrückt und dargestellt und läuteten mit dem nicht zuletzt gesundheitlich bedingten Bruch althergebrachter Traditionen und Arbeitsweisen eine kulturelle Wende in der Kunst ein.

Sinnbild des Zeitgeistes und namensgebend für eine ganze Kunstrichtung, den Expressionismus, wurde das Bild „der Schrei“ von Edvard Munch, gemalt in seiner ersten Fassung 1893. In dem Werk „der Schrei“ kommt die zeittypische Grundstimmung der Menschheit, geprägt von übersteigerten Sinneseindrücken, seelischer Verletzlichkeit, Angst und Panik, die das Empfinden des „fin de siècle“ prägte, programmartig zum Ausdruck. Auch wenn dies nie sicher bewiesen werden konnte: wahrscheinlich hat der postinfektiöse Gesundheitszustand der Bevölkerung maßgeblich zu einem kulturgeschichtlichen Wandel und somit zu einem Fortschritt beigetragen!

Ursächlich für diese damals neu aufgetretene Erkrankungswelle der „Neurasthenie“ wird am ehesten die „russische Grippe“ gesehen, auch wenn ein eindeutiger Kausalzusammenhang selbstverständlich nie belegt werden konnte. Die russische Grippe wurde nach aktuellem Kenntnisstand wahrscheinlich ebenfalls, wie die aktuelle Covid-19 Pandemie, durch ein Coronavirus ausgelöst. Die Symptome der akuten Infektion glichen denjenigen der Covid-19 Pandemie – Geruchs- und Geschmacksverlust traten damals wie heute charakteristischerweise auf – diese markanten Symptome findet man nur selten bei einer Influenza-Infektion oder anderen viralen Infektionen.

Zurück zu Covid-19

Derzeit wird eine anhaltende gesundheitliche Einschränkung nach einer Infektion mit Sars-Cov-2 als Post-Covid bezeichnet – wenn man so will kann diese Diagnose geschichtlich mit den „Modediagnosen“ des späten 19. und des frühen 20. Jahrhunderts verglichen werden.

Gemeinsam ist den postviralen Folgeerscheinungen viraler Epidemien und Pandemien in einer Bevölkerung, dass körperliche Erschöpfungssyndrome bis hin zur vollständigen Bettlägerigkeit gemeinsam mit neurokognitiven und teils auch neuropsychiatrischen Symptomen einhergehen.

Der Diskurs, ob die Genese dieser postviralen Zustände psychischen oder somatischen Ursprungs ist, wird seit jeher kontrovers geführt – so auch aktuell erneut bei Post-Covid.

Diese polarisierende allgemeine und teils auch wissenschaftliche Diskussion geht an der eigentlichen Problematik und der immensen Not der Betroffenen komplett vorbei und ist wenig zielführend.

Basis jeder Auseinandersetzung mit der Erkrankung sollten die vorliegenden wissenschaftlichen Daten zu den bereits bekannten Pathomechanismen sein. Wer diese Daten kennt, wird nicht an einer führend psychosomatischen oder psychischen Genese des Krankheitsbildes festhalten können, sondern wird versuchen dieses hoch komplexe Krankheitsbild weiter verstehen zu wollen – das Ziel vor Augen, Betroffenen zurück ins Leben zu verhelfen.

Die Covid-19 Pandemie mit dem Post-Covid-Syndrom bietet, vor dem Hintergrund des in den letzten Jahrzehnten exponentiell angestiegenen naturwissenschaftlichen Wissens, die große Chance, die pathophysiologischen Vorgänge von postinfektiösen Krankheitsgeschehen konsequent und interdisziplinär zu beforschen.

Es geht nicht um „entweder oder“, sondern es geht darum, betroffenen Patienten*Innen die richtige und nötige Hilfe zukommen zu lassen, die sie benötigen, um wieder ins Leben zurückzufinden. Es geht nicht um Psychotherapie oder Medikation, wie zuletzt häufig sehr polarisierend in öffentlichen Medien und wissenschaftlich diskutiert, sondern es geht um die individuell bestmögliche Kombination an unverzüglich notwendiger Behandlung, die selbstverständlich sowohl somatische als auch seelische Aspekte vereint – wie dies bei vielen anderen Erkrankungen längst etabliert und selbstverständlich ist, Stichwort Onkologie: Tumortherapie und Psychoonkologie.
Nach aktuellstem Stand der Forschung können körperliche, durch u.a. Neuroinflammation, Gefäßdysregulation und/oder Autoimmunität verursachte neuropsychiatrische klinische Manifestationen dieses Krankheitsbildes pathophysiologisch erklärt werden und bedürfen unseres Erachtens einer zumindest vorübergehenden medikamentösen Behandlung.

Und eine medikamentöse Behandlung bei einer schweren somatischen Erkrankung bedarf sinnvollerweise einer krankheitsbegleitenden psychologischen Unterstützung, um den Genesungsprozess zu optimieren. Das weite Feld und die vielen therapeutischen Aspekte der Psychoneuroimmunologie sollten selbstverständlich Beachtung finden.

Aktuelles Ziel sollte es sein, Betroffene mit dem zwar dürftigen, aber dennoch bei guter Recherche vorhandenen Wissen aus der ME/CFS-Forschung der letzten Jahrzehnte, bestmöglich zu behandeln – anstatt wie in früheren Jahrhunderten einfach nur zuzuwarten und auf Rehabilitation zu setzen.

Was wir allerdings derzeit (noch) nicht haben sind gesicherte Daten über die Wirksamkeit der einzelnen plausibel einzusetzenden Substanzen und Verfahren der modernen Medizin, da hierzu in den letzten Jahrzehnten bei postviralen Krankheitsbildern kaum Therapie- und Medikamentenstudien durchgeführt wurden und dies auch mit Beginn der Covid-19-Pandemie leider versäumt wurde unverzüglich zu initiieren.

Fakt ist, dass es derzeit für ein medizingeschichtlich uraltes Krankheitsbild, das postvirale Fatigue-Syndrom, keine evidenzgesicherten Behandlungsmöglichkeiten gibt, dafür aber weltweit Millionen an Betroffenen, die dringend medizinische Hilfe brauchen.

Der frühe Fokus zu Beginn der Covid-19 Pandemie lag ganz auf dem akuten Infektionsgeschehen und den intensivpflichtigen Verläufen – die Möglichkeit eines postviralen Krankheitsbildes wurde politisch scheinbar ausgeblendet. Erst durch Patientenselbsthilfegruppen und die Möglichkeit der digitalen Vernetzung erkämpften sich Betroffene weltweit Gehör.

Wenn man so will ist ME/CFS, als schwerste Form eines postviralen Folgezustandes, eine der bisher nur wenig erforschten Krankheiten, die jetzt aber aus dem Schattendasein hervortritt auf Grund der Pandemie, da die Zahl an Betroffenen stetig zunimmt und nicht mehr wegdiskutiert werden kann, weder medizinisch noch wirtschaftlich noch gesamtgesellschaftlich.

Die Tatsache, dass ME/CFS über Jahrzehnte nur von einzelnen Forschungsgruppen wie z.B. Prof. Scheibenbogen, Charité Berlin, wissenschaftlich untersucht wurde, fällt uns aktuell „auf die Füße“, indem wir für weltweit Millionen von Menschen die an einer postviralen Folge leiden keine Therapien zur Verfügung haben – die Versorgung ist dramatischerweise kaum besser als im 19. und frühen 20. Jahrhundert.

Derzeit ist selbst der Begriff des Post-Covid-Syndroms nach Infektion mit Sars-Cov-2 noch nicht trennscharf definiert. Unter Post-Covid werden sämtliche gesundheitlichen Folgezustände die in zeitlichem Zusammenhang mit einer Covid-19-Infektion neu auftreten subsummiert. Hierunter fallen z.B. Post-Intensive-Care Syndrome (PICS), Organläsionen die i.R. der Infektion entstanden sind, primär psychische/psychosomatische Probleme und die postvirale Fatigue bzw. ME/CFS mit ihrem typischen klinischen Leitsymptom der Post-Exertional Malaise (PEM). Bei PEM kommt es typischerweise zu einer mehr als 24 Stunden anhaltenden Verschlechterung der vorbestehenden Beschwerden nach einer – teils nur minimalen – körperlichen oder psychischen Belastung.

Unabdingbar und absolut relevant um eine klare Diagnose zu stellen und damit therapeutische Schritte einzuleiten ist es, bei „Post-Covid“ genau hinzuschauen, welcher führende Pathomechanismus an Krankheitsgeschehen bei diesem komplexen und heterogenen Krankheitsbild bei jedem einzelnen Patienten vorliegt. Nur wenn zunächst diagnostisch exakt differenziert wird kann man im Anschluß eine plausible Therapiestrategie verfolgen. Es ist selbstredend, dass ein PICS anders zu therapieren ist als eine posttraumatische Belastungsstörung oder das Vollbild der postviralen Fatigue, ME/CFS, im engeren Sinne.

Post-Covid – ME/CFS

Wir bezeichnen mit Post-Covid das Krankheitsbild der postviralen Fatigue bzw. ME/CFS, nachdem andere Krankheitsursachen wie PICS, posttraumatische Belastungsstörung, Organläsion etc. ausgeschlossen worden sind. Für die letztgenannten Gesundheitsstörungen gibt es bereits diverse etablierte therapeutische Ansätze wie z.B. eine aktivierende Rehabilitation, die mit guten Erfolgen angewandt werden können.

Bestehen die Post-Covid-Symptome nach einem auslösenden Ereignis länger als 6 Monate, und sind zudem bestimmte Diagnosekriterien (z.B. kanadische Konsensuskriterien) erfüllt und andere, konkurrierende Erkrankungen ausgeschlossen, so kann die Diagnose Myalgische Enzephalomyelitis, ME/CFS, Chronic Fatigue Syndrom, gestellt werden. Einen typischen Biomarker, also einen Laborwert, der diese Krankheit definiert, gibt es derzeit (noch) nicht.
Wichtig ist, nicht zuletzt hinsichtlich Arbeitsfähigkeit und Therapiestrategien, eine gute und sorgfältige Diagnosestellung.

Es werden als Pathomechanismen des Krankheitsprozesses bei ME/CFS unterschiedliche Hypothesen wissenschaftlich untersucht und angenommen: Autoimmunität gegen Stressrezeptoren, Gerinnungsaktivierung, Neurotransmitterdysregulation z.B. des serotonergen Systems, Dysautonomie, Mastzellaktivierungssyndrom, Mikrobiomveränderungen, Neuroinflammation, Mitochondriopathien und Gefäßdysregulation. Auch Reaktivierungen endogener Viren scheinen eine Rolle zu spielen. Genpolymorphismen werden möglicherweise das individuelle Krankheitsgeschehen mitbestimmen und könnten zukünftig hinweisend sein, wer ein individuelles Risiko trägt, zu erkranken.

Post-Exertional-Malaise oder PEM – das Leitsymptom

Die Diagnose ME/CFS sollte immer mit Bedacht gestellt werden, denn häufig heilen postvirale Folgezustände über längere Zeiträume aus, auch noch jenseits von 6 Monaten Krankheitsdauer, wenn man nicht durch Unkenntnis und falsches Verhalten eine Chronifizierung begünstigt.

Die vordringlichste, wichtigste Maßnahme, um eine vollständige Ausheilung zu erzielen und um eine Chronifizierung zu vermeiden ist es, dem Körper die nötige Zeit und Ruhe zur Heilung zu geben, die er braucht. Hier ist ein sehr langer Atem ausgesprochen wichtig – man muss als Betroffener auf diesem Weg innerlich eine eigene „neue Zeitrechnung“ beginnen, denn vieles wird viel länger brauchen, als wir dies bisher gewohnt waren.

Die „Langsamkeit“ der Rekonvaleszenz ist in unserer schnelllebigen, leistungsorientierten Gesellschaft eine besondere Herausforderung für Betroffene und deren Umfeld und auch zunehmend für Arbeitgeber.

Das medizinische Fachwort, das eine bewährte Strategie im Umgang mit den geringen Energieressourcen beschreibt, ist „Pacing“. Pacing bedeutet, dass man sich nur so weit belastet, dass es nicht zum Eintreten einer Verschlechterung NACH der Belastung kommt – in der Fachsprache heißt das, dass man PEM vermeidet. Verfolgt man von Beginn an das Konzept des Pacings – was im Alltag eine große Herausforderung darstellt, da es gegen unsere Intuition ist – so kommen die Kräfte (auf biochemischer Ebene betrachtet: ATP-Produktion, mitochondriale Funktion) bei vielen Betroffenen langsam zurück.

Als kontraproduktiv bei Post-Covid vom ME/CFS-Typ haben sich aktivierende Therapiekonzepte im Sinne der klassischen, aktivierenden Rehabilitation erwiesen – es kann hierdurch sogar zu einer weiteren Verschlechterung kommen (auf biochemischer Ebene: weiterer Zusammenbruch der ATP-Produktion, weitere mitochondriale Schädigung durch diverse Pathomechanismen), wenn nicht streng auf Pacing und PEM geachtet wird.

Als eine Fachdisziplin, die in der weitgehend organspezifischen Facharztmedizin die Patienten*Innen weiterhin systemisch betrachtet, hat sich die Sportmedizin früh und intensiv mit Post-Covid befasst. Die Sportmediziner sind es derzeit, von denen klare Empfehlungen zu Pacing kommen, denn die pathophysiologischen Vorgänge, die i.R. von PEM auftreten, können weitere Verschlechterungen erklären.

Unser Ansatz bei Biallomed

Wir in der Praxis Biallomed versuchen Patienten*Innen, die durch ein auslösendes Ereignis einen Chronic-Fatigue-Zustand entwickelt haben, umfassend zu unterstützen mit dem Ziel, sie zurück ins Leben zu begleiten.

Im Vordergrund der Behandlung steht die Frage, was im Körper dysreguliert ist, wo die individuellen Pathomechanismen liegen.

Und aus dieser Frage ergeben sich als Antworten auf eine gezielte, umfassende, nach strukturiertem Konzept durchgeführten Diagnostik jenseits der üblichen Routinediagnostik die individuellen Behandlungsansätze.

Hier kombinieren wir funktionelle Medizin, symptomatische medikamentöse Ansätze der Schulmedizin, wo möglich nach Leitlinie, sowie nach eingehender Abwägung „off label“ Medikation nach dem aktuellen Kenntnisstand vorliegender und derzeit laufender Studien bzgl. Post-Covid/ME-CFS, ergänzt durch weitere Heilverfahren wie Infusionstherapien, IHHT, HBOT, Immunadsorption und HELP-Apherese in besonderen Einzelfällen (individuelle Heilversuche).